Porträt eines Optimisten

Corporate Nachhaltigkeit

Donnerstag, 14 Uhr. „Moin“, schallt’s fröhlich aus dem Telefon. Stimmt, im Norden sagt man ja ganztägig „Moin“. Aber Florian Lindschulten meint es so. „Ich bin diese Woche in der Nachtschicht, jetzt bin ich gerade aufgestanden.“ Florian ist 34 Jahre alt und arbeitet bei RKW in Nordhorn als Verfahrensmechaniker in der Extrusion. 2004 begann er in Nordhorn seine Ausbildung und ist seither dort tätig. Soweit, so normal. Und eben doch nicht. „Ich habe Mukoviszidose“, sagt Florian.

Mukoviszidose ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung. In Deutschland leben rund 8.000 Menschen mit Mukoviszidose. Bei dieser Erbkrankheit ist die Bildung verschiedener Körperflüssigkeiten gestört. Die Sekrete der Lunge, der Bauchspeicheldrüse und anderer Organen sind zähflüssiger als bei gesunden Menschen. Der zähe Schleim verstopft unter anderem die kleinen Äste der Bronchien und die Ausführungsgänge der inneren Organe. Atmung und Verdauung sind besonders stark betroffen. Im Verlauf der Erkrankung können die Organe immer schlechter arbeiten. Ursache der Erkrankung sind Fehler im Erbgut. Sie ist daher nicht heilbar. Zeitpunkt der Diagnose und Schwere der Symptome können individuell stark variieren. Bei vielen Kindern macht sich Mukoviszidose von Geburt an massiv bemerkbar, in anderen Fällen wird sie erst später erkannt. Durch die vermehrte Schleimbildung in der Lunge können sich Bakterien leichter ansiedeln und eine Infektion verursachen. Lungenentzündungen oder Bronchialinfekte sind daher viel häufiger als bei nicht Betroffenen. Der gestörte Salzhaushalt in der Lunge behindert zudem die körpereigene Abwehr. Die statistische durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit Mukoviszidose liegt deutlich unter der nicht-Betroffener: In Deutschland betrug im Jahr 2015 die durchschnittliche Lebenserwartung neugeborener Jungen 77 Jahre und 9 Monate. Die entsprechende Zahl für neugeborene Mädchen lautete 82 Jahre und 10 Monate. Für ein heute neugeborenes Kind mit Mukoviszidose liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 53 Jahren.

Fasziniert von Technologie

Was niederschmetternd klingt, hält Florian nicht auf. Er sprüht vor Energie: „Alle hatten mir zu einem ruhigen Beruf geraten, bei dem ich körperlich nicht gefordert werde. Zunächst habe ich auch auf die anderen gehört. Aber nach einem Monat im Büro war mir klar, dass das absolut überhaupt nichts für mich ist“, schildert er. Eine Annonce der RKW, in der Auszubildende für Verfahrenstechnik gesucht würden, klang, als sei es das Richtige – und das war es auch. „Ich war schon als Kind körperlich sehr aktiv und habe auch immer viel gebastelt, mit den Händen gearbeitet, Technik hat mich schon seit jeher fasziniert.“ Das gilt bis heute. „Ich finde es großartig, dass ich in der Lage bin, eine Extrusionsanlage zu fahren. Dass ich es schaffe, derart komplexe und filigrane Folien herzustellen“, Florians Begeisterung bricht durchs Telefon. Jeder Tag sei anders, es gebe so viele Aufgaben, und es erfülle ihn mit Stolz, diesen nachgehen zu können. Zumindest fast allen. „Ja, es gibt die Einschränkung mit der Druckanlage. Die Lösungsmittel und Farben entwickeln Dämpfe, die für meine Lunge zu gefährlich sind“, so Florian. Für seinen Schichtmeister und seine Kollegen ist das kein Problem. „Ich bin von Anfang an offen mit meiner Krankheit umgegangen, habe allen erklärt, dass ich schwerbehindert bin und eben gewisse Einschränkungen habe. Das war und ist aber für niemanden ein Problem.“ Der Umgang untereinander sei immer kollegial, man helfe sich sowieso gegenseitig, wo man kann.

Florian lässt sich von seiner Krankheit aber nur soweit bremsen, wie unbedingt notwendig. „Es gibt ein paar Routinen, die ich mein ganzes Leben lang schon machen muss, unter anderem regelmäßig Medikamente einnehmen, inhalieren, Krankengymnastik“, erzählt er. Klingt harmlos, hat es aber in sich: 25 Tabletten und drei Mal inhalieren täglich. „Ich kenne es nicht anders“, sagt Florian lachend. Das Inhalieren ist wichtig, um die Lunge vom zähen Schleim zu befreien, und die Krankengymnastik hilft, die verkrampfte Brust- und Rückenmuskulatur zu entspannen und zu dehnen. Dazu komme alle drei Monate ein geplanter Krankenhausaufenthalt. Dabei durchläuft er verschiedene Checkups, bekommt intravenös Antibiotika. Meistens fühle er sich kurz vor diesem Checkup auch ziemlich matt, doch zurzeit – der nächste Boxenstopp ist Ende Januar – sieht es anders aus: „Ich verwende seit ein paar Monaten ein neues Medikament, damit geht es mir besser als sonst. Ich habe in dieser Zeit schon über drei Kilo zugenommen. Das ist für mich sensationell.“

Pandemie als Hochrisikoperson

Mit seiner überbeanspruchten und gefährdeten Lunge gehört Florian zu den Personen mit hohem Risiko in der aktuellen Pandemie. Die Betriebsärztin hat im ersten Lockdown im Frühjahr auch gleich die Notbremse gezogen und ihn mehrere Wochen krankgeschrieben. Eine Verlängerung verweigerte aber die Krankenkasse und nach Rücksprache mit Ärztin, Werksleiterin und dem Schichtleiter ging es dann wieder weiter im Betrieb. „Ich verwende die sicheren FFP-2-Masken, die Sicherheitskonzepte im Werk greifen und außerhalb vermeide ich so gut es geht jedes Risiko“, sagt Florian.

Überhaupt bricht er eine Lanze für seinen Arbeitgeber. „Es war sicher auch ein nicht so bequem für RKW, mich für diese Ausbildung und diesen Beruf einzustellen, trotz aller staatlicher Unterstützung, die es dafür gibt. Aber sie helfen mir bei allem und sind von Anfang an positiv mit der ungewöhnlichen Situation umgegangen, dabei sind weder Bürokratie noch sonst was zum Hindernis geworden.“

Daher ist es Florian auch ein ganz wichtiges, persönliches Anliegen, junge Menschen mit Mukoviszidose zu ermutigen, eigene berufliche Vorstellungen zu verfolgen und ihren eigenen Weg zu gehen: „Ich bin so froh, dass ich nicht im Büro gelandet bin. Jetzt arbeite ich schon seit 18 Jahren in meinem Beruf, den mir vorher niemand zutrauen wollte. Aber es gibt Wege und auch Unterstützung dabei, wenn man ein klares Ziel hat. Die Krankheit schränkt uns ein, aber moderne Therapien ermöglichen uns ein so viel normaleres Leben als es vor einer Generation noch denkbar war. Also: Traut euch!“